In einer Diskussion unter Kolleginnen wurde die Frage aufgeworfen, ob wir Mediator*innen angesichts der Entwicklungen in Deutschland, Europa, der Welt überhaupt noch eine Rolle spielen. Entspricht die Methode „Konfliktlösung zu beiderseitigem Vorteil“ noch dem Zeitgeist? Man darf es bezweifeln.
Alte weiße Männer (nicht nur, aber vorwiegend) und ein von diffusen, faktenbefreiten Ängsten gequältes Volk treffen treffsicher aufeinander: Die einen klammern sich buchstäblich mit aller Macht an ihre Machtzipfel, die anderen wünschen sich nichts mehr, als dass ihnen eine mächtige Macht die zu komplexe Welt einfach sicher macht. Ob die Erklärungen wahr sind, oder wenigstens wirklich, spielt keine Rolle.
Niemand glaubt an Lösungen, am wenigsten an solche, die auch dem jeweiligen Gegner nützen. Wir Mediator*innen wissen, dass in einem Eskalationsstadium, in dem Drohungen bereits zum alltäglichen Stil geworden sind, eine Konfliktlösung zum beiderseitigen Vorteil kaum noch erreicht werden kann, da jede der Konfliktseiten die andere als nichts weniger als den „Feind“ wahrnimmt, der geschlagen werden muss, will man nicht selbst verlieren. Ja, schlimmer noch: Wer zu oft droht, dem glaubt man nicht, was den Druck erhöht, die Drohung in die Tat umzusetzen. Geschieht das, ist eine neue Eskalationsstufe erreicht: Auch sich selbst zu schaden wird in Kauf genommen, solange nur dem anderen ein Quentchen mehr geschadet wird. Statt du bist ok – ich bin ok heißt es nun: Ich bin nicht ok, aber du bist viel mehr nicht ok, und das ist ok. „Win-win“ ist spätestens hier mutiert zu einem „Loose-loose“. Die Mediation als Methode muss hier versagen.
Was zuerst da war, die individuelle oder die gesamtgesellschaftliche Haltung, ist eine müßige Henne-Ei-Betrachtung. Die Haltungen verstärken sich längst gegenseitig in einer Spirale, die immer weiter bergab führen wird. Wir kennen das von den Eskalationsstufen Friedrich Glasls, des bedeutenden Konfliktforschers: Am Ende steht die totale Vernichtung des Gegners, auch um den Preis des eigenen Untergangs.
In der gegenwärtigen Weltlage, in dieser gesellschaftlichen Atmosphäre ist der durchaus streitlustige, aber immer konstruktiv lösungsorientierte Ansatz der Mediation womöglich nicht/nicht mehr/bis auf weiteres nicht das geeignete Werkzeug. Wo Menschen Sicherheit über Freiheit stellen, wo sie eine starke Führung zur Besänftigung ihrer Angst so viel mehr benötigen als individuelle Verantwortung, da sind die Methoden von Recht und Gesetz, da sind Gerichte, Entscheidungen durch eine Obrigkeit mit der erleichternden Chance, „denen da oben“ dann auch die Verantwortlichkeit für tatsächliche oder empfundene Missstände zuzuschieben, die verlockendere Variante. Und vielleicht auch die passendere.
Der Preis wird sein, was er immer sein wird: Es wird unzählige Verlierer geben. Im schlimmsten Fall wird es ausschließlich Verlierer geben. Ich persönlich sehe nicht, wer das sein sollte, noch nicht einmal die stetig an Stimmen gewinnende AfD – aber selbst wenn es auch Sieger geben sollte in diesem globalen Wahnsinn: Wir wissen, dass kein Sieg von Dauer ist. Wir wissen, dass der Sieger sich immer hüten muss: Der Verlierer wartet auf seine Chance, er wartet auf den Moment, wo er zurückschlagen kann, und wenn das, wie bei kollektiven Traumata, Generationen dauern und erst von den Erben umgesetzt werden kann. Auf die eine ode andere Weise rächt es sich, einen Sieg auf Kosten eines Verlierers zu erringen.
Das gilt im Kleinen wie im Großen. Das gilt für das Sykes-Picot-Abkommen genauso wie für die jahrhundertelange Ausbeutung Afrikas durch europäische Kolonien und – gegenwärtig – internationale Konzerne. Wer keinen Preis zahlen will, darf nicht siegen wollen.
Derzeit aber scheint die Welt bereit zu sein, den Preis zu zahlen. Ich bin pessimistisch – die Mediation hat für den Moment ausgedient.
Wie gut, dass ich Socken stricken kann. Abwarten und Socken stricken, bis unsere Zeit, die Zeit der konsensualen Konfliktlösung, hoffentlich bald (wieder) kommt.